lunes, 22 de septiembre de 2008

Buch: De Golpes y Suenios. Ein Kommentar

Das zweisprachige Buch „De Golpes y Sueños“ bietet einen vielschichtigen Einblick in die
Geschichte des Antisemitismus in Argentinien.
Buenos Aires am 18. Juli 1994. Es ist Montagmorgen um 9 Uhr 53. In der Einfahrt des jüdischen Gemeindezentrums „Asociación Mutual Israelita Argentina“ (AMIA) explodiert eine 300 Kilogramm schwere Autobombe. Innerhalb von wenigen Sekunden stürzt das siebenstöckige Gebäude ein. 85 Menschen sterben, mehrere hundert werden verletzt. Nachdem bereits zwei Jahre zuvor eine Bombe die israelische Botschaft in Buenos Aires zerstört und 29 Menschen getötet hatte, ist der Anschlag auf die AMIA das größte Attentat in der argentinischen Geschichte. Bis heute ist es nicht völlig aufgeklärt.
„Das Wort AMIA wurde zu einem Synonym für Vertuschung“, schreibt Sylvia Degen, Mitherausgeberin des
kürzlich erschienenen Buches „De Golpes y Sueños. Antisemitismus und jüdische Überlebende in Argentinien“.
Nach den Worten des in Deutschland lebenden argentinischen Journalisten Roberto Frankenthal eröffneten die
beiden Attentate ein neues Kapitel des Antisemitismus in Argentinien. Dessen Geschichte beschreiben die
in „De Golpes y Sueños“ gesammelten Texte. Das in Kooperation mit dem Anti-Defamation-Forum Berlin veröffentlichte Buch liefert dabei viele neue Erkenntnisse im Bereich der Antisemitismus- Forschung. Denn gerade der lateinamerikanische Aspekt wurde in Europa bisher wenig beleuchtet. So ist das Buch zum einen eine geeignete Einführung, zum anderen liefert es stellenweise auch den nötigen Tiefgang. Allerdings variieren die Texte relativ stark in ihrer Qualität. Zudem ist der Band nicht nur zweisprachig, sondern auch vom Aufbau her zweigeteilt - was sich als Vor- und auch als Nachteil erweist.
In Argentinien befindet sich die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas. Etwa 300.000 Argentinier sind
jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft. Dazu gehört nach wie vor eine große Zahl von Überlebenden
des Holocaust. Einige von ihnen gründeten die Gruppe „Generaciones de la Shoah en Argentina“. Ihren Erzählungen ist der zweite Teil des deutschspanisch erschienenen Buches gewidmet. In Interviews berichten sie, wie sie die Shoah erlebt haben und wie sie nach Argentinien entkamen. Ihre Erlebnisse sind persönlich und spannend zu lesen. Einen analytischen Blick bieten sie jedoch nicht. Dies leistet hingegen der erste Teil des Buches, der die verschiedenen Aspekte des argentinischen Antisemitismus ins Zentrum rückt.
Der Judenhass nahm in Argentinien bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Laufe der ersten großen Einwanderungswellen nach Argentinien zu. Jüdische Immigranten sahen sich häufig Anfeindungen ausgesetzt, die in der „Semana Trágica“ gipfelten, der tragischen Woche von 1919: Als die Verantwortung für einen Streik in einer Stahlhütte auf die Agitation von Linken und Juden zurückgeführt wurde, kam es zu einem Pogrom in den jüdischen Vierteln von Buenos Aires. Schätzungen gehen von bis zu 1.000 Toten und 5.000 Verletzten aus. Die Polizei sah tatenlos zu.
Nach 1930 entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen Argentinien und Nazi-Deutschland.
Nach 1930 entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen Argentinien und Nazi-Deutschland. Diese Dekade
wird in der argentinischen Geschichtsschreibung als das „schändliche Jahrzehnt“ bezeichnet. Es war nicht zuletzt
von Korruption, Misswirtschaft und häufigen Regierungswechseln geprägt. Mit „Odessa - Die wahre Geschichte“ hat Uki Goñi ein Standardwerk über die Flucht der NS-Kriegsverbrecher in das südamerikanische Land verfasst. In seinem Beitrag für „De Golpes y Sueños“, einem Auszug aus seinem eignen Buch, untersucht der Historiker die restriktive Einwanderungspolitik gegenüber jüdischen Flüchtlingen, die oft nur mit
gefälschten Papieren einreisen konnten. Eine geheime Verordnung aus dem Jahr 1938 an die argentinischen
Konsulate erklärte sie zu unerwünschten Personen. Erst 2005 wurde der „Circular 11“ aufgehoben. Uki Goñis Beitrag ist sicher eines der stärksten Kapitel des Buches. In einem anderen verfolgt Kathrin Herold
die Fluchtrouten, auf denen NSKriegsverbrecher und Nazikollaborateure nach Argentinien entkamen.
General Juan Domingo Perón began 1946 nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt, einen Staat nach faschistischem Muster zu errichten. Doch auch nach der ersten peronistischen Ära, die 1955 mit einem weiteren Putsch zu Ende ging, konnten sich Juden in Argentinien nicht sicher fühlen – vor allem nicht während der Militärdiktatur 1976 bis 1983. In seinem Beitrag liefert Roberto Frankenthal Beispiele über den Antisemitismus von damals bis heute. Während die argentinischen Juden nur etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, waren mit 1.500 der etwa 30.000 Ermordeten des Regimes überdurchschnittlich viele vom Terror der Diktatur betroffen. Die „desaparecidos“ (Verschwundenen) jüdischer Herkunft wurden in den Folterzentren besonders brutal misshandelt. Überlebende erinnern sich daran, wie sie Hitler-Reden in voller Lautstärke anhören mussten.
Auch nach der Rückkehr zur Demokratie 1983 gab es antisemitische Vorfälle: 1984 wurden Brandbomben
gegen die Synagoge von Rosario und gegen die Hauptsynagoge von Buenos Aires geschleudert, 1987 wurde die
jüdische Gemeinde in Bahia Blance und eine Synagoge in der Hauptstadt attackiert, mehrere Male kam es zu
Friedhofsschändungen. Als der aus Syrien stammende Carlos Menem 1989 die Präsidentschaftswahl gewann,
dachten viele jüdische Bürger in Argentinien ans Auswandern. Seine Sympathie für einige rechtsextreme
Gruppen und die Wahlhilfe durch Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi schürten das Misstrauen.
Doch auch unter einigen argentinischenLinken und an den Hochschulen war der Antisemitismus verbreitet.
Diesem Aspekt widmen sich die Autoren in mehreren interessanten Artikeln, die vielleicht jedoch erst bei
intensiverer Beschäftigung mit der Geschichte der Linken in dem südamerikanischen Land zu verstehen sind.
Zur Relevanz mancher Gruppe hätte es einer weiter reichenden Erklärung bedurft. Vor allem aber hat der Anschlag auf die AMIA die jüdische Bevölkerung in ihrem Selbstverständnis als Argentinier getroffen. Die zahlreichen „golpes“ (Schläge) hatten ihre „sueños“ (Träume) zerstört. Zwar wurden gegen den iranischen Ex-Präsidenten Ali Rafsandschani und sieben weitere Iraner Haftbefehle als Drahtzieher erstellt. Wirklich neu ist die
Erkenntnis nicht, dass der Iran und die Hisbollah hinter den Anschlägen steckte. Dennoch wäre es interessant
gewesen, mehr über deren Rückzugsgebiete in Südamerika zu erfahren.

Sylvia Degen, Sergio Esquivel und Anti- Defamation Forum (Hrsg.): „De Golpes y Sueños. Antisemitismus und jüdische Überlebende der Shoah in Argentinien“, Berlin 2007. Zu beziehen für 8 € per Email an: sylvia.degen@transmute-network.com

Aus:woxx 04 07 2008 Nr 961 REGARDS 13

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