jueves, 18 de diciembre de 2008

Diktaturen und Widerstand in Lateinamerika-Vortrag in Köln im Oktober 2008

Allerweltshaus Köln – Diktaturen und Widerstand in Lateinamerika
„Heute verhältnismäßig friedlich“
Von Elke Kochann

In der Reihe „Geschichte und Geschichten“ des Projektes „Erinnern für die Menschenrechte“ im Allerweltshaus Köln richtete sich der Blick diesmal auf „Militärdiktaturen und Widerstand in Lateinamerika“. Referenten waren Rainer Huhle und Roberto Frankenthal. Dazu passend wurde wieder ein Buch aus der Raphel-Lemkin-Bibliothek vorgestellt – diesmal „Chile - Ein Schwarzbuch“.
Das ausgewählte Chile-Schwarzbuch wurde 1974 von Hans-Werner Bartsch,Martha Buschmann, Gerhard Stuby und Erich Wulff herausgegeben und erschien somit kurz nach dem Putsch vom 11. September 1973. Sophie Hennis berichtete, wie stark sie das Buch geprägt habe - vor allem die Informationen über Folter und das „Verschwindenlassen“ als Technik der Repression. Die beiden Referenten und die zahlreichen Teilnehmer begrüßte sie nach der Lesung mit den Worten, es sei schön, dass sich heute „drei Generationen von getätigter Lateinamerika-Arbeit im Allerweltshaus einfinden“. Rainer Huhle arbeitet im Nürnberger Menschenrechtszentrum und ist Kuratoriumsmitglied des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Von 1997 bis 1999 arbeitete er im Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Kolumbien. Roberto Frankenthal lebt seit 1986 in Deutschland und wurde als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten 1963 in Buenos Aires geboren. Von 1989 bis 2006 war er Herausgeber der Zeitschrift „Argentinien Nachrichten“ Heute ist er freier Journalist und schreibt unter anderem für die Zeitschriften „ila“ und „Tangodanza“.Die Rolle der Kirche

Huhle begann seinen Vortrag mit einer Bemerkung, durch die Einladung habe er sich „um 20 Jahre zurückversetzt“ gefühlt, und verwies auf die Tatsache, dass das Verständnis von Lateinamerika in den 1960er Jahren durch Militärdiktaturen geprägt war. Heute gehe es dort im Vergleich zu den letzten 200 Jahren verhältnismäßig friedlich zu, aber es gebe dort auch schon frühere Zeugnisse von Verfassungen, Menschenrechtsbestrebungen sowie Gewaltenteilung.

In seinem Bericht konzentrierte sich Huhle auf Chile. Politische Opposition und Gewerkschaften wollten in den 1970er Jahren dort eher die soziale Revolution. Die Repression nach der Zerschlagung des politischen Widerstands zwang viele, nach neuen Formen einer (Schutz-)Organisation zu suchen. Dabei habe an vorderster Stelle die Kirche gestanden, vor allem Bischof Helmut Frenz, der von 1965 an als Propst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile tätig war, bis er 1975 des Landes verwiesen wurde und anschließend Generalsekretär von amnesty international in der Bundesrepublik Deutschland wurde. Wichtig sei, sich bewusst zu machen, so Huhle, dass die Widerstandsbewegung gegen die Diktatur zu diesem Zeitpunkt keine Mehrheitsbewegung gewesen sei, und dass Augusto Pinochet große Unterstützung fand. Die Stärke der Widerstandbewegung sei hingegen die gute internationale Vernetzung gewesen, wofür auch die Organisation Amerikanischer Staaten genutzt wurde.
Im Mittelpunkt des Vortrags von Roberto Frankenthal, der zur Zeit des letzten Militärputsches geboren wurde und seit seiner Jugend in der Menschenrechtsarbeit engagiert ist, stand Argentinien. Das Land sei ein „Sonderfall“ im Sinne des Staatsterrorismus. Es gab häufige Wechsel von Demokratie, Wahlen, Putsch, Militärdiktatur, Terrorismus, wieder Demokratiebestrebungen und dann die ersten Konzentrationslagern 1975 und die damit verbundene Folter. In diesem Punkt hätte Argentinien von anderen lateinamerikanischen Ländern, wie Chile, „gelernt“, was veröffentlichte Bilder von zusammengepferchten Gefangenen in Stadien anrichten können. Gegner sollten deshalb heimlich verschwinden - der so genannte „Argentinische Tod“.

Putsch von der Bevölkerung unterstützt

Angesichts der krisenhaften Situation hätten, so Frankenthal, ca. 80 Prozent der Bevölkerung den Putsch vom 24. März 1976 unterstützt. Dabei sei es in der Menschrechtsbewegung zu 30.000 Opfern gekommen, ebenso viele Menschen wurden inhaftiert. Im Unterschied zu Chile konnten sich die argentinischen Exilanten jedoch nicht auf ein genügend breites Netzwerk verlassen, sie waren eher auf sich allein gestellt. Frankenthal führte hierzu das Beispiel Michelle Bachelets an, der heute amtierenden Präsidentin Chiles, die nach dem Putsch in die DDR floh. Biografien dieser Art gab es im Fall Argentinien nicht.

Widerstand gegen die Militärdiktatur habe es kaum gegeben. Erst ab 1977 gründeten sich langsam die ersten Angehörigenorganisationen, und erst 1979 gab es Protestversuche der Gewerkschaftsbewegung, die jedoch durch Uneinheitlichkeit wenig Durchschlagskraft besaß. Ein Teil unterstützte weiter die Militärdiktatur und lieferte mitunter sogar Namenslisten. Wichtig sei der Besuch der UN-Menschrechtskommission 1979 gewesen, wodurch viele Untaten das erste Mal aktenkundig wurden. Die Militärdiktatur sei schließlich nicht wegen des Widerstands der Bevölkerung, sondern an den eigenen Fehlern gescheitert, zum Beispiel am Falklandkrieg 1982, vor allem an der wirtschaftlichen Situation. Die ersten demokratischen Wahlen gab es 1983, aus denen Raúl Alfonsín als Präsident siegreich hervorging.

Umgang mit der eigenen Vergangenheit

Den Umgang Argentiniens mit der eigenen Vergangenheit schätzt Frankenthal als äußerst bedenklich ein. Diese sei „weder diskutiert, erörtert oder bewältigt worden“. Im Jahr 2008 begannen die ersten Prozesse gegen Zivilisten, die bei der Politik des Verschwindenlassens von Menschen mitgewirkt haben.

Eine der ersten Fragen aus dem Publikum ging an Roberto Frankenthal und betraf den ehemaligen Junta-Chef beim Militärputsch, Jorge Rafael Videla. Im Oktober 2008 wurde der Hausarrest gegen ihn aufgehoben und Videla wurde in ein Militärgefängnis verlegt. Die Teilnahme der Bevölkerung, so Frankenthal, sei jedoch relativ gering und auf gar keinen Fall mit der im Fall Pinochets zu vergleichen, die eine viel größere Wirkung gehabt habe.

Beratung aus Frankreich

Thematisiert wurde auch die Rolle der französischen Geheindienste, bzw. des französischen Militärs. So spielten französische Militär- und Geheimdienstberater eine große Rolle bei der Ausbildung des argentinischen Heers. Dabei ging es vor allem um die „französische Doktrin“, die Frankreich selbst im Algerienkrieg entwickelt und angewandt hatte. Der große Unterschied war laut Frankenthal allerdings, dass in Argentinien diese Methoden gegen die eigene Bevölkerung und nicht gegen eine Kolonialbevölkerung angewandt wurden. Französische „Ausbilder“ seien ja auch in die USA gegangen, um dort die Leute auf den Vietnamkrieg vorzubereiten.

Auf die Frage, warum die Militärdiktaturen eine Erscheinungsform gerade der 1970er Jahre waren, erklärte Rainer Huhle, dass sie im Grunde ein Ergebnis des Kalten Krieges gewesen seien. Durch die jährlichen Interamerikanischen Konferenzen sei ein kontinentales, gemeinsam getragenes Projekt entstanden, das sich unter dem Stichwort „nationale Sicherheit“ zusammengefasst gegen den Kommunismus wandte. Sophie Hennis ergänzte, die „Doktrin der nationalen Sicherheit“ sei im Grunde die Legitimation von Herrschaftsformen. Diese Doktrin war, so Huhle, zunächst eine reine Militärdoktrin, habe so die politische Situation bestimmt und sei schließlich eine generelle Lebensphilosophie geworden. Heute gehe die Geschichte der Militärdiktaturen zu Ende; durch einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der eher auf soziale Gerechtigkeit abziele. In diesem Punkt widersprach Roberto Frankenthal, der nach wie vor diese Doktrin lebendig erlebt. Sie würde heute nur anders betitelt.

Die deutsche Diplomatie

Eine Reihe von Fragen galt der Wirkung des Besuches der UN-Menschrechtskommission 1979 in Argentinien. Laut Frankenthal war die Anzahl von verschwundenen Personen vorher mit Sicherheit viel höher als nach diesem Besuch. Innerhalb der Militärdiktatur konnte man sich nun sicher sein, beobachtet zu werden. Einigkeit bestand bei den Referenten, dass „Sichtbarmachung den Betroffenen hilft“, wobei das Vorgehen der deutschen Diplomatie kritisiert wurde. Frankenthal mahnte, dass die von Deutschland vertretene „stille Diplomatie“ kein Leben retten würde.

Auch die Tatsache, dass viele der Prozesse erst gegenwärtig in Gang kommen, kam zur Sprache. Auf die Frage, warum dies so sei, erklärte Huhle, dass es einen Unterschied zwischen einem Prozess und der Tatsache des Sich-erinnerns gebe, und dass man dies im Grunde auch mit der Bundesrepublik Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg vergleichen könne. In Uruguay gab es nach der Zeit der Militärdiktatur sogar eine Volksabstimmung mit dem Ergebnis, dass keiner der Militärs vor Gericht kommen solle. In Chile wurde nach zwei Jahren eine Wahrheitskommission eingerichtet. Generell sei in Lateinamerika nicht zu unterschätzen, dass die Länder in gewissen Situationen voneinander lernen. Frankenthal fügte hinzu, dass es in Argentinien auf jeden Fall eine Frage der Generation sei. Das heutige Staatsoberhaupt, Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, war damals jung und hatte keine politische Verantwortung. Dementsprechend stelle sie sich heute der Sache anders entgegen.

Zu fortgeschrittener Stunde wurde die Veranstaltung beendet, allerdings war das Thema für die Anwesenden noch nicht beendet. In kleinen Gruppen wurde mit oder ohne die Referenten angeregt weiter diskutiert. (PK)
Aus Neue Rheinische Zeitung

„Nie wieder“ – Erinnerungskultur und Strafverfolgung in Argentinien

Zumindest in punkto Vergangenheitsbewältigung gilt Argentinien seit einigen Jahren als menschenrechtliches Vorzeigeprojekt. Der Traum der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzern, anderswo allenfalls die Vision einer fernen Zukunft, ist dort Wirklichkeit geworden. Doch das Kapitel der Diktaturverbrechen ist nach dreißig Jahren noch längst nicht abgeschlossen: Das argentinische Beispiel zeigt vor allem, dass selbst explizit auf die politische Tagesordnung gesetzte Vergangenheitsbewältigung nicht automatisch von Erfolg gekrönt wird. Die Förderung einer Erinnerungskultur hat zwar wichtige Akzente gesetzt, aber in der Strafverfolgung gibt es noch zahlreiche Hindernisse zu überwinden.

Rückblick
Die Machtübernahme der Militärs in Argentinien am 24. März 1976 führte zu der brutalsten Repressionswelle in der Geschichte des Landes. Bis zum Ende der Diktatur 1983 wurden Zehntausende von Personen verhaftet und in geheimen Folterlagern ohne Prozess monate- oder sogar jahrelang misshandelt; viele von ihnen wurden außergerichtlich hingerichtet oder galten als „verschwunden“, da niemand ihren Aufenthaltsort zu wissen schien. Die einzige Gruppe, die es wagte, öffentlich gegen das Regime zu protestieren, waren die Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo, die ab 1977 jeden Donnerstag nachmittag vor dem Präsidentschaftspalast in Buenos Aires ihre Runden drehten und die Rückkehr ihrer „verschwundenen“ Kinder und Enkel forderten. Durch sie (und Angehörigenverbände in anderen lateinamerikanischen Ländern) wurde der Begriff des desaparecido zum Synonym für Opfer lateinamerikanischer Militärdiktaturen. Auch die Bezeichnung der grausamen Repressionmethoden als „schmutziger Krieg“ („guerra sucia“) ist zum feststehenden Begriff für Unrechtsregime geworden.
Das eine gravierende Schuldenkrise erzeugende neoliberale Wirtschaftsprogramm und nicht zuletzt die Niederlage im Falkland-Krieg gegen Großbritannien brachen der Militärjunta den Nacken. Die Übergabe der Regierung an zivile politische Parteien wurde ohne Pakt besiegelt, so dass die neugewählte Zivilregierung mit Präsident Raúl Alfonsín ihr Amt zunächst ohne Einmischung der Uniformierten ausüben konnte. Sehr konsequent verfolgte Alfonsín die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen.
CONADEP und der Prozess gegen die Juntageneräle
Alfonsín setzte die CONADEP (Comisión Nacional para la Desaparición de Personas) zur Untersuchung des Schicksals der Tausenden von “Verschwundenen” ein. Sie bestand aus zehn ausgewählten, für ihre persönliche Integrität und ihr Menschenrechtsengagement bekannte Personen (unter ihnen nur eine einzige Frau) sowie aus drei Mitgliedern der Abgeordnetenkammer; geleitet wurde sie von dem bekannten Schriftsteller Ernesto Sábato. Zwischen 1983 und 1984 wurden der Kommission 8.960 Fälle des gewaltsamen Verschwindenlassens gemeldet, wobei allerdings eine sehr hohe Dunkelziffer berücksichtigt wurde. Die Schätzungen der Madres und von Menschenrechtsorganisationen gehen noch heute von ca. 30.000 Opfern dieses Verbrechens aus, und auch die CONADEP erhob nie Anspruch auf Vollständigkeit ihrer Angaben. Ihr im September 1984 veröffentlichter Abschlussbericht „Nunca Más“ („Nie wieder“) legte über den Umfang und die Grausamkeit der Menschenrechtsverletzungen anhand 709 eindeutig bewiesener Einzelfälle Zeugnis ab. Die Existenz von etwa 340 Foltergefängnissen wurde belegt, eine Liste der der CONADEP bekannten Opfer sowie auch Täter dem Bericht beigelegt. Bemerkenswert im argentinischen Fall ist die vergleichsweise hohe Anzahl „verschwundener“ Frauen (ca. 28%) sowie die vielen Kinder, die in Folterhaft geboren und anschließend von Militärs, aber auch nichtsahnenden kinderlosen Familien adoptiert wurden.
Als einer der ersten seiner Art in Lateinamerika wurde „Nunca Más“ ein Bestseller in Argentinien und in zahlreiche Sprachen übersetzt (u.a. ins Deutsche). Entscheidend war nicht nur die minuziöse Darstellung der Geschehnisse, die die Wahrhaftigkeit des Berichts über alle Zweifel stellte, sondern die Schlussfolgerung der CONADEP, dass die begangenen Gräueltaten keine Exzesse gegen militante Subversive darstellten, sondern einem systematischen Plan zur Eliminierung einer bestimmten politischen Klasse Argentiniens Folge leisteten. Die begangenen Menschenrechtsverletzungen waren demnach eindeutig als Verbrechen gegen die Menschheit zu definieren. Dieser Rechtsbegriff sollte in späteren Jahren eine zentrale Rolle in der strafrechtlichen Verfolgung von Diktaturverbrechern spielen.
Im Jahr 1985, noch während der Regierung Alfonsíns, wurde allen Mitgliedern der Militärjunten der Prozess gemacht. Jorge Rafael Videla und Emilio Massera aus der ersten Militärjunta wurden zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, die der zweiten unter General Viola erhielten lange Gefängnisstrafen, während die dritte (Galtieri) und vierte (Bignone) Juntageneration straffrei davonkamen. Im Jahr darauf sah Alfonsín sich jedoch gezwungen, als Zugeständnis an die Militärs das sogenannte Schlußpunkt-Gesetz (Ley de Punto Final) zu erlassen, das eine Einstellung jeglicher Strafverfolgung innerhalb einer Frist von 40 Tagen vorsah und eine Welle von neuen Klagen zur Folge hatte. Daraufhin rebellierten einige Militäroffiziere, und die Regierung sah sich genötigt, trotz aller Demonstrationen und Appelle der Bevölkerung für eine Fortführung der Gerichtsprozesse ein weiteres Gesetz zu verabschieden, das des Befehlsnotstandes (Ley de Obediencia Debida). Es gewährte den unteren Militärrängen Amnestie mit dem Argument, dass sie für die Menschenrechtsverletzungen als lediglich Ausführende von Befehlen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Alfonsíns Nachfolger Carlos Menem ließ die verurteilten Juntageneräle bei Amtsantritt 1989 begnadigen, so dass in Argentinien eine Situation der vollkommenen Straflosigkeit eintrat. Punto Final – nichts ging mehr.
Null und nichtig: der Fall der Amnestie
Nach der Ablösung Menems durch Fernando de la Rúa (1999) wurde die Forderung nach einer Annullierung der beiden Amnestiegesetze immer lauter. Beflügelt wurde sie nicht nur aufgrund der von Nichtregierungsorganisationen angestrengten Prozesse gegen argentinische Militärs in Europa (Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland), sondern auch aufgrund der sensationellen Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Pinochet in London, die einen wahren Paradigmenwechsel in der internationalen Strafverfolgung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen herbeiführte. Bereits einen Tag nach Pinochets Verhaftung wurde Emilio Massera der Kindesentführung angeklagt, ein Vergehen, das in den Amnestiegesetzen keine Berücksichtigung gefunden hatte. Auch die illegale Aneignung von Besitztümern als Straftatbestand ermöglichte neuerliche Anklagen.
Der Regierungswechsel 2003 war allentscheidend: Präsident Kirchner erklärte die gesellschaftliche und strafrechtliche Aufarbeitung der Diktaturverbrechen als oberste Priorität und sorgte Schritt für Schritt für die Annullierung der Amnestiegesetze. Im Juni 2005 erklärte sie der neubesetzte Oberste Gerichtshof für verfassungswidrig und deshalb null und nichtig. Verbrechen gegen die Menschheit sind unverjährbar und können nicht von der Strafverfolgung ausgeschlossen werden. Dieser Entscheidung folgte die verstärkte Wiederaufnahme von Fällen bei Gericht.
Das Problem des Zeugenschutzes
Das erste Urteil fiel im August 2006 im Fall des „verschwundenen“ Ehepaares José Poblete und Gertrudis Hlazcik sowie ihrer Tochter. Julio Simón, alias el turco Julián, wurde eine Haftstrafe von 25 Jahren auferlegt. Lebenslänglich verurteilt wurde im Monat darauf der ehemalige Kriminaldirektor der Polizei Buenos Aires, Miguel Etchecolatz, für sechsfachen Mord sowie illegaler Freiheitsberaubung und Folter in zwei Fällen. Dieser Prozess wurde jedoch überschattet vom „Verschwinden“ einer der Schlüsselzeugen, der über 70jährige Jorge Julio López, just am Tag der Gerichtsverhandlung, bei der er aussagen sollte. Sein Schicksal bis heute nicht geklärt. Es ist davon auszugehen, dass sein „Verschwinden“ beabsichtigt war: Die Eliminierung eines Schlüsselzeugen in einem der ersten Gerichtsprozesse auf dieselbe Art und Weise wie zu Diktaturzeiten hatte zum Ziel, die Fortschritte in der Rechtsprechung durch Einschüchterung zu behindern. Mit Erfolg, denn viele Zeugen, oft Überlebende von Folterhaft, sahen in der Folge davon ab, vor Gericht auszusagen. Die Drohungen gegen sie, vor allem im Vorfeld mündlicher Verhandlungen, häufen sich. Neben López sind bisher noch zwei weitere Zeugen verschleppt und ernsthaft misshandelt worden, allerdings lebend wieder aufgetaucht.
Dieses enorm destabilisierende Problem, so Kritiker/innen, ist bisher nicht effektiv von der Regierung angegangen worden. Erst im Mai 2007 rief Präsident Kirchner das Programa Verdad y Justicia (Wahrheit und Gerechtigkeit) ins Leben, in dessen Rahmen Schutzmaßnahmen für Zeugen, Diktaturopfer, Anwält/innen und Beamt/innen des Justizapparates ergriffen werden sollen. Der Leiter des Programms, Marcelo Saín, beklagt allerdings ein unzureichendes Budget und die Tatsache, dass er über kein eigenes Personal verfügt, sondern sich der Flughafenpolizei Ezeiza bedienen muss. In einem Interview mit der Tageszeitung Página12 äußerte er die Meinung, dass Julio López von einer Schlägerbande des Ex-Polizeidirektors Etchecolatz ermordet wurde. Menschenrechtsorganisationen kritisieren außerdem, dass keine Informationen über die Personen vorliegen, die mittels Einschüchterungen und Übergriffen die Strafverfolgung der Diktaturverbrechen verhindern wollen, und ihre Verbindungen zu staatlichen Sicherheitskräften, Geheimdienst sowie privaten Sicherheitsfirmen. Hier sind gründliche Ermittlungen erforderlich, die auch den Fall des ehemaligen Polizeipräfekten Héctor Febres beträfen. Dieser, wegen Folter, Misshandlung und Kindesraub angeklagt, wurde am Tag vor seiner Urteilsverkündung im Dezember 2007 vergiftet. Marcelo Saín ist der Meinung, dass auch die Zeugenaussagen ehemaliger Uniformierter nicht erwünscht sind; der Fall Scilingo soll nicht wiederholt werden. Unterlagen des ehemaligen Geheimdienstes SIDE sind bislang noch nicht freigegeben worden, obwohl sie über mögliche, in neuere Übergriffe involvierte Personen Aufschluss geben könnten.
Mit dem Fall Febres wurde auch die Argumentation über Bord geworfen, dass angeklagte Militärs aus Sicherheitsgründen in den Haftanstalten ihrer eigenen Institutionen untergebracht werden sollten. Die Privilegien, die sie dort genießen, stellen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz ernsthaft in Frage. Im Juli 2007 wurde zwar entschieden, in Untersuchungshaft sitzende Offiziere von Gefängnispersonal des Servicio Penitenciario Federal bewachen zu lassen, aber einer Überführung in gewöhnliche Haftanstalten, wie es NRO einfordern, steht noch einiges im Wege.
Memoria – Gedenken des Grauens
Trotz solch nicht zu unterschätzender Vorkommnisse besteht in der heutigen argentinischen Gesellschaft ein breiter Konsens über die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Diktaturverbrechen. Auch während der Zeit des Punto Final waren die Forderungen nach einer solchen nie verstummt. Dies ist nicht nur der Hartnäckigkeit von Opfer- und Angehörigenverbänden sowie Menschenrechtsorganisationen zu verdanken, sondern sicherlich auch dem Einsatz der CONADEP und den Juntaprozessen – letztere ein in Lateinamerika zu jener Zeit einzigartiger Schritt. Während der Kirchner-Regierung wurden einige sehr symbolische, aber doch entscheidende Maßnahmen für die politisch-gesellschaftliche Aufarbeitung ergriffen, die nicht nur der allgemeinen Akzeptanz, sondern auch der Mitwirkung verschiedenster Akteur/innen Raum geben, so dass die Gestaltung von Gedenkstätten und die Durchführung von Aktivitäten nicht nur für die direkt Betroffenen repräsentativ sind. Dies ist von äußerster Wichtigkeit für die Bewusstseinsbildung der Bevölkerung, so dass das 1984 proklamierte „Nunca Más“ auch in die Tat umgesetzt wird.
In Buenos Aires ist neben der bereits seit 2000 existierenden Gedenkstätte Mansión Seré, der Einweihung des Paseo de Derechos Humanos (2006) durch die Fundación Memoria Histórica y Social Argentina und der Enteignung ehemaliger Folterzentren wie „Automotores Orletti“ vor allem die städtische Übernahme des größten während der Diktatur funktionierenden Folterlagers ESMA (Escuela de Suboficiales de Mecánica de la Armada) im September 2007 hervorzuheben. Von dort „verschwanden“ mindestens 5.000 Personen. Für die Umgestaltung des Areals in ein Museum wurde ein Gremium, Espacio de Memoria, gegründet, in dem auch zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten sind. Von ihnen hat jede einen bestimmten Raum zur Ausgestaltung zur Verfügung gestellt bekommen. In der ESMA hat außerdem ein internationales Menschenrechtsbildungsinstitut der UNESCO seinen Sitz.
Auch in den Provinzen sind ehemalige Folterzentren und Anlagen der Sicherheitskräfte zur öffentlichen Nutzung übereignet worden, wie z.B. das Gefängnis La Perla in Córdoba.
Megafälle und Miniurteile
Mit dem von Kirchner promovierten parlamentarischen Nein gegen die Amnestiegesetze wurde bereits im September 2003 entschieden, die beiden sogenannten megacausas, d.h. die in der ESMA sowie die vom Ersten Heereskorps (in Folterzentren wie El Vesubio, Club Atlético, Olimpo, Automotores Orletti oder El Jardín) begangenen Menschenrechtsverletzungen in die Erste Instanz zu geben. 2006 wurden die Vorbereitungen für die Gerichtsverhandlungen getroffen, über 700 Personen waren wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Während des vergangenen Jahres wurden die obersten Befehlsinhaber des ehemaligen Militärapparates angeklagt und der deutschstämmige Polizeikaplan Cristian von Wernich verurteilt.
Trotz dieser unleugbaren Fortschritte wird von Beobacher/innen und Betroffenen die Abwesenheit einer effizienten Strategie in der Strafverfolgung beklagt. Diese ist unverzichtbar für die enorme Herausforderung, vor der die argentinische Justiz steht: Sie muss die Verantwortlichen von Zehntausenden von grausamsten Verbrechen unter Berücksichtigung der Normen für einen fairen Prozess vor Gericht stellen und verurteilen. Sie muss außerdem die Würde der Zeugen wahren, die öffentlich über schmerzlichste Erlebnisse Zeugnis ablegen. Die Fragmentierung der Prozesse in einzelne Tatbestände bringt jedoch nicht nur einen kaum zu bewältigenden Arbeitsaufwand für die Justizbehörden mit sich, sondern lenkt auch vom systematischen und von höchster Stelle aus koordinierten Vorgehen der Militärs ab, so dass das ungeheure Ausmaß der Gräueltaten nicht mehr erkennbar ist. Die argentinische Gesellschaft kann so den historischen Charakter der Prozesse nur schwer erfassen. Noch weniger gerecht wird diese Vorgehensweise den Überlebenden und Angehörigen der Opfer, da diese in jedem Prozess gegen einen ehemaligen Folterknecht von Neuem aussagen müssen; ihre Würde und ihre Sicherheit werden so kaum gewahrt. Die Vereinheitlichung von Tatbeständen und die Konzentration auf repräsentative Fälle, die eine relativ rasche Verurteilung der obersten Befehlsinhaber in jeder Region des Landes herbeiführen könnte, würde einerseits eine Effizienzsteigerung mit sich bringen und andererseits der argentinischen Bevölkerung die enorme Bedeutung der Prozesse vermitteln.
Die Probleme sind klar identifiziert, so dass eine Unterlassung dringend notwendiger Maßnahmen die Glaubwürdigkeit der Regierung torpedieren würde. So wie auch die Einsetzung von Wahrheitskommissionen sowie die Annullierung von Amnestieregelungen in Lateinamerika Schule gemacht haben, so ist auch eine erfolgreiche Strafverfolgung am Río de la Plata nicht nur für Argentinien von Bedeutung.
Annette Fingscheidt
Koalition gegen Straflosigkeit in Argentinien

sábado, 4 de octubre de 2008

In Memorian: Ellen Marx

Mitte September starb in Buenos Aires Ellen Marx. Sie war eine einzigartige Person und für mich etwas ganz besonders. Nicht nur wegen ihrer moralischen, ethischen und politischen Größe sondern weil sie meine "Tante" im Kindergarten gewesen ist. Die nachfolgenden Zeilen sind in Pagina 12, Argentinisches Tageblatt ,TAZ und im Tagesspiegel und in der Zeitschrift "ila"erschienen.

Ellen fue una mujer lúcida y comprometida con la vida. La última vez que la vi, con sus ochenta y seis años y una salud que por momentos la fatigaba, desde su sillón continuaba dando fuerzas a otros y otras que, como ella, pasaban sus últimos años en un hogar de ancianos. Cuando notaba deprimido a alguno de sus compañeros de morada, se acercaba a ellos para invitarlos a una lectura o deleitarse con la música. Ellen integró grupos de jóvenes que lucharon contra el nazismo; como tantos y tantas vio cómo diezmaron familias y amistades; para salvar su vida escapó de Alemania y se radicó en este país en el que tuvo dos hijos y dos hijas; una de ellas, Leonor Gertrudis Marx, fue desaparecida por los hombres del I Cuerpo de Ejército. Como tantas madres, golpeó cientos de puertas para averiguar por su hija y fue clave en la organización del grupo de familiares de origen alemán, cuya lucha hizo posible la Coalición contra la Impunidad en la Argentina. Los juicios abiertos en Alemania y los pedidos de extradición de Videla, Massera y otros fueron el fruto de esa labor. Ellen fue la de la palabra precisa, honda y emotiva; la de la petición franca, sincera e irreductible; la que irradiaba conocimientos con vocación de compañera y docente; la que, ante la adversidad o la algarabía, plasmaba sentencias de acero con delicada claridad. La que, pese a todo y como consecuencia de todo, hablaba con humor elegante. Así como decía que setenta años íbamos a padecer los estragos de la dictadura, alentaba constantemente a persistir en la lucha. Recordaré toda mi vida sus relatos, como aquel que contó cuando se enteró que mi hijo se llamaría Elías. “El profeta que venció a Massera” dijo y contó la historia bíblica de la viña de Nabot. Se llamaba Ellen Renata Pinkus de Marx. Falleció hace pocos días. Una mujer amada e imprescindible.
Rodolfo Yanzón – abogado de familiares de origen alemán

http://www.tageblatt.com.ar/
20.09.2008 Buenos Aires (AT/kat) -- "So lange ich noch am Leben bin, werde ich für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen", dieser Leitsatz hatte die deutsch-argentinische Menschenrechtlerin Ellen Marx bis zuletzt angetrieben. Nachdem ihre Tochter während der jüngsten Militärdiktatur verschwand, setzte sie sich unnachgiebig für die Aufklärung der Regierungsverbrechen ein. In der Nacht zum 12. September verstarb die Menschenrechtlerin im Alter von 87 Jahren im jüdischen Altersheim "Adolfo Hirsch" in San Miguel bei Buenos Aires. Ellen Marx wurde in Berlin in einer deutsch-jüdischen Familie geboren. Während des 3. Reiches wurden ihre Mutter, ihr Großvater, ihr Onkel und ihre Großtanten von den Nationalsozialisten ermordet. Sie selbst floh 1939 aus Deutschland und kam über Paris nach Argentinien. Seitdem lebte sie in Buenos Aires. Nachdem sie von den Nationalsozialisten ausgebürgert wurde, ließ sie sich wieder einbürgern und verstand sich Zeit ihres Lebens als in Argentinien wohnende Deutsche. In Buenos Aires arbeitete sie zunächst als Kindermädchen bei einer deutsch-jüdischen Familie, dann an einer deutschsprachigen Schule und schließlich in einem jüdischen Kinderheim. Sie heiratete einen ebenfalls deutsch-jüdisch stämmigen Immigranten, 1948 kam die Tochter des Paares, Gertrudis Leonor, zur Welt. Am 21. August 1978 wurde die damals 28-jährige Tochter vom argentinischen Militär verschleppt und verschwand. Ellen Marx verlor zum zweiten Mal in ihrem Leben geliebte Angehörige durch eine Diktatur. Im Juni 1998 unternahm sie ihre erste Aktion für die Aufklärung der Diktaturverbrechen und erstattete gemeinsam mit anderen deutsch-jüdischen Diktaturopfern Strafanzeige gegen das argentinische Militär bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Nürnberg- Fürth. Die Staatsanwaltschaft erklärte allerdings, sie sei für diese Fälle nicht zuständig. Unter den etwa 30.000 Opfern der argentinischen Militärdiktatur sind rund 100 Deutschstämmige.

15.09.2008
Unbeugsam und unerschrocken
Die deutsch-argentinische Menschenrechtlerin Ellen Marx war eine unerschrockene und eine unbeugsame Frau. "Solange ich noch am Leben bin, werde ich für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen", lautete ihr Wahlspruch, und daran hielt sie sich zeitlebens. In der Nacht zum Freitag ist die in Berlin geborene Jüdin im Alter von 87 Jahren in Buenos Aires gestorben, wie Freunde und Weggefährten mitteilten.
Ellen Marx hatte sich in Argentinien und in Deutschland einen Namen gemacht, seit sie sich für die Aufklärung von Diktaturverbrechen während der argentinischen Militärherrschaft (1976-1983) engagierte. Die Militärs hatten ihre Tochter entführt, die bis heute verschwunden geblieben ist.
1939 flieht Ellen Marx vor den Nazis aus ihrer Geburtsstadt Berlin. Sie stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie, die sie selbst dem Bildungsbürgertum zurechnete und für die Politik ein Gräuel war. Mit einem französischen Frachter kommt sie nach Argentinien und lebt in der Hauptstadt Buenos Aires. Hier findet sie eine Stelle als Kindermädchen. Sie heiratet einen ebenfalls emigrierten deutschstämmigen Juden. Viele Jahre arbeitet sie an einer deutschsprachigen Schule, später in einem jüdischen Kinderheim in Buenos Aires. Von den Nazis ausgebürgert, lässt sich Marx in der 50ern in der Bundesrepublik wieder einbürgern. Sie versteht sich als in Argentinien lebende Deutsche.
Am 21. August 1978 wird ihre damals 28-jährige Tochter Gertrudis Leonor Marx von argentinischen Militärs verschleppt und gilt seitdem als verschwunden. Zum zweiten Mal verliert Ellen Marx Angehörige durch die Untaten einer Diktatur. Mutter, Großvater, Onkel und Großtanten wurden von Nazis ermordet.
Im Juni 1998 erstattet Ellen Marx zusammen mit anderen deutschjüdischen Diktaturopfern Strafanzeige gegen argentinische Militärs bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht Nürnberg-Fürth. Dabei gehe es um "Wahrheit und Gerechtigkeit, den Grundlagen menschlichen Zusammenlebens", sagte sie damals im Namen einer "Gruppe der deutschen Mütter" in Argentinien. "Es ist unsere persönliche Mission, nicht zu schweigen und die Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben." Unter den rund 30.000 Opfern der Diktatur sind rund 100 Deutsche oder Deutschstämmige.
Seit einigen Jahren lebte Marx in einem jüdischen Seniorenheim in San Miguel, einem Vorort von Buenos Aires. Eine Anklageerhebung gegen die für das Verschwinden ihrer Tochter verantwortlichen argentinischen Militärs durfte sie nicht mehr erleben. Das Landgericht Nürnberg-Fürth erklärte sich für nicht zuständig.
JÜRGEN VOGT

Die Argentinier nennt sie „die Hiesigen“.
Buenos Aires im August 1999, Stadtteil Belgrano, eine kleine schmale Frau springt auf einen Bus, der kaum bremst. Die Frau ist 78 Jahre alt. Sie gönnt sich kein Straucheln, kein Zögern, kein Taxi; immer fährt sie mit dem Bus. Diesmal zu einem Treffen der Mütter der deutschen Verschwundenen in Argentinien. Die Gruppe trifft sich, um über Strafverfahren gegen argentinische Militärs in Deutschland zu beraten.

Ellen Pinkus wird 1921 in Berlin geboren und wächst in der Oranienburger Straße auf, spielt im Monbijou-Park. Später zieht die Familie nach Charlottenburg.

Ellen ist 18, als sie ein Visum erhält, das ihr die Einreise nach Argentinien erlaubt. Sie ist eine Jüdin auf der Flucht vor den Nazis. Die meisten Länder haben ihre Grenzen schon dicht gemacht. Ellen lässt ihre Eltern zurück, in dem Glauben, dass sie bald nachfolgen können. Über ihren kranken Vater kann sie später sagen, er sei noch im Bett gestorben. Die Mutter wird in Auschwitz ermordet. Das erfährt Ellen Jahrzehnte später: Der Name der Mutter steht auf einer Liste in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.

Auf dem Schiff, auf der Flucht, erkrankt Ellen an Skoliose. Die Krankheit bleibt unerkannt und unbehandelt. Ellen behält einen gebeugten Rücken, über den sie nie klagt.

Alle in der Gruppe der Jugendlichen, mit der sie Buenos Aires erreicht, sehnen sich nach einem zu allererst, nach Normalität. Die meisten heiraten schnell und gründen Familien. Ellen Pinkus trifft Erich und wird Frau Marx. Sie bekommt vier Kinder. Was sie von ihrer Mutter gelernt hat, gibt sie nun weiter: Dass es wichtig ist, sich um Schwächere zu kümmern, Solidarität zu üben und durch kleine Gesten das Leben schöner und leichter zu machen. Dass Jammern nicht hilft.

Buenos Aires ist eine brodelnde, anstrengende Stadt. Ellen arbeitet als Betreuerin, erst in einem Kinderheim, dann in der jüdischen Gemeinde. Sie bleibt Zeit ihres Lebens der deutschen Kultur verbunden, sie spricht bis zuletzt ein wunderbares Deutsch. Die Argentinier nennt sie „die Hiesigen“, als würde sie selbst nicht dazugehören.

Heimisch wird sie erst, als sie sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Tochter Nora macht. 1976 wurde die von argentinischen Militärs entführt und in einem geheimen Lager gefangen gehalten. 30 000 Menschen kommen während der Zeit der Militärdiktatur ums Leben. Nora hat in einem Elendsviertel von Buenos Aires gearbeitet. Sie engagierte sich für die Ärmsten. Als Ellen erfährt, dass ihre Tochter verhaftet wurde, wird sie zu einer der „Mütter der Plaza de Mayo“, jener Frauen, die auf dem zentralen Platz von Buenos Aires gegen das Verschwinden ihrer Kinder protestieren und bis heute auf Aufklärung drängen. Die Suche nach ihrer Tochter Nora bestimmt fortan Ellens Leben. Sie wird Nora nie finden.

Als die Diktatur 1983 am Ende ist, hofft Ellen, dass die Verantwortlichen bestraft werden. Doch Amnestiegesetze schützen die Folterer und Mörder. Ellen reist mehrmals nach Deutschland, mit Hilfe eines Rechtsanwalts erstattet sie in Berlin Strafanzeige gegen argentinische Militärs. Sie wird von der Justizministerin empfangen. Aber die Verfahren ziehen sich hin. Zu einer Anklage kommt es in ihrem Fall nicht.

Ellen aber ist preußisch diszipliniert, für Selbstmitleid reicht ihre Zeit nicht. Sie trifft andere Deutsche, deren Angehörige verschwunden sind, sie hilft ihnen bei der Suche nach Unterlagen für die Verfahren in Deutschland. Und sie kümmert sich auch um diejenigen, die an Depressionen leiden und an dem Erlebten zerbrechen.

Bald kommt sie nicht mehr nur wegen der Verfahren nach Deutschland, sie hat hier Freunde gefunden. Sie sagt, dass sie die nachfolgenden Generationen nicht verantwortlich machen könne für das, was ihr und ihren Eltern angetan wurde. Dem Jüdischen Museum in Berlin übergibt sie Erinnerungsstücke der Familie.

2005 zieht sie in ein Seniorenheim bei Buenos Aires, in dem sie zuvor jahrelang gearbeitet hatte, als das Heim noch eines für Kinder war. Sie genießt den Park und die Vögel, sie arbeitet in der Bibliothek des Heims. Im September erleidet sie einen Schlaganfall, nur zwei Tage später stirbt sie. Tonja Salomon

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 05.12.2008)

Aus: ila 320. November 2008
Die Verpflichtung nicht zu schweigen
Abschied von der deutsch-argentinischen Menschenrechtlerin Ellen Marx

Am 24. März 1921 wurde Ellen Marx in Berlin geboren, am 11. September 2008 starb sie im jüdischen Altersheim Hogar Alfredo Hirsch in der Provinz Buenos Aires. Ellen Pinkus de Marx, wie sie nach ihrer Heirat hieß, war in den letzten Jahrzehnten eine der wichtigsten VertreterInnen der argentinischen Menschenrechtsbewegung. Wolfgang Kaleck und Gert Eisenbürger haben unabhängig voneinander Gespräche mit Ellen Marx geführt und aufgezeichnet, ersterer 1999 über ihre Jugend in Berlin und ihre Emigration, letzterer 2002 über ihr Leben in Argentinien. Aus diesem Material haben sie anlässlich des Todes von Ellen P. de Marx nachfolgenden Text zusammengestellt, der einen Blick auf eine große Humanistin und außergewöhnliche Frau eröffnet.

Frau Marx, was sind Ihre Erinnerungen an Ihre Zeit in Berlin vor ihrer Emigration nach Argentinien?

Ich wurde am 24. März 1921 in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte geboren. Mein Vater hatte dort als Lederwarenhändler ein Büro mit Kellerraum. Ich ging zunächst in die 24. Volksschule hinter der Garnisons­kirche, danach in die Ziegelstraße in die Höhere Schule. Nach unserem Umzug nach Charlottenburg ging ich bis zur Unterprima in die Fürstin-Bismarck-Schule.
Eine meiner einschneidendsten Erinnerungen ist die an die „Reichskristallnacht“. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 war ich von lauten Geräuschen aufgewacht. Ich hörte Autos vorfahren und Glas zerbrechen. Ich stand dann auf und sah aus dem Fenster. Gegenüber von unserem Haus wurden in der Milchhandlung der jüdischen Witwe Köppen die Scheiben eingeworfen. Die Autos fuhren dann weg. Aus der Ferne hörte ich Feuerwehrsirenen am Kudamm. Am nächsten Tag erfuhren wir aus dem Radio, dass alle Synagogen, die nicht an Zivilgebäude angrenzten, abgebrannt waren.
Ich ging am Morgen nach der Reichskristallnacht trotzdem in die Schule. Dort wurde mir sogleich vom Vize­rektor ein Schreiben ausgehändigt, in dem der Bürgermeister von Berlin meinen Vater aufforderte, seine Tochter von der Schule zu entfernen. Einer meiner Lehrer nahm mich zur Seite und flüsterte mir zu, dass er mir alles Gute wünsche. Andere Lehrer und auch MitschülerInnen sahen weg.
Alle jüdischen SchülerInnen wurden nach der Kristallnacht aus den Schulen herausgeworfen. Von einem Tag zum andern. Ich kriegte noch meine Abgangszensuren und damit war es fertig. Ich hatte noch nicht einmal das Abitur gemacht und es ist mir auch später nicht gelungen, trotz meines guten Willens, es irgendwann in Argentinien nachzuholen.
Schon ab 1933 hatte ich eine zunehmend erstickende Atmosphäre gespürt. Die Lehrer identifizierten sich alle mehr oder weniger mit dem Nationalsozialismus. Viele Mitschülerinnen waren Mitglied im BDM (Bund Deutscher Mädel). Anfänglich waren noch viele jüdische Schülerinnen auf der Schule, da in Charlottenburg viele jüdische Familien wohnten. Die ersten, die die Schule verließen, kamen aus Familien, die vor dem Bolschewismus aus der Sowjetunion oder dem Antisemitismus aus Polen und Ungarn geflohen waren. Offensichtlich hatten sich diese Familien ihren Instinkt vor Gefahr bewahrt.
Das alteingesessene jüdische Bildungsbürgertum fühlte sich jedoch zugehörig zur deutschen Kultur und zum deutschen Volk und übersah daher die Gefahr.
Auch ich fühlte mich der deutschen Kultur zugehörig. Im Übrigen bis heute. Noch immer fallen mir in kritischen Momenten Verse von Schiller und Goethe ein. Deutsche Kultur erfuhr ich vor allem über den Berliner Kulturbund, der nach 1933 für das jüdische Kulturleben geschaffen worden war. Auch für Geschichte interessierte ich mich sehr. Bereits mein Großvater und meine Mutter waren Mitglieder der SPD. Mein Vater und meine Großmutter mütterlicherseits waren DemokratInnen. Ich las sehr viele Autoren der Weimarer Republik.

Wie war Ihr Verhältnis zum Judentum in der damaligen Zeit?

Ich war während der Schulzeit beim Jüdischen Bund. Mein Vater sorgte dafür, dass ich als einzige Tochter in die Jugendbewegung des Central-Vereins fand. Wir diskutierten dort über jüdische Kultur, jüdische Geschichte und die Entstehung der Jugendbewegung. Wir eigneten uns eine gute jüdische Bildung an, die wir neu entdeckten.
Außer unserer Gruppe gab es noch die Haschomer Hazair, die sogenannten Werkleute. Die waren auf die Ausreise nach Palästina orientiert. Sie unterhielten Landwirtschaftsgüter zunächst in Deutschland, später in Dänemark. Ich lernte zwei dieser Landgüter kennen.
Ab April 1939 ging es nur noch darum, unsere Leben zu retten und jede Möglichkeit der Ausreise zu nutzen.

Warum entschieden Sie und Ihre Familie, dass Sie als einziges Familienmitglied ausreisten?

Am 10. Dezember 1938 war die Gestapo in unsere Wohnung gekommen, um meinen Vater zu verhaften. Dieser war allerdings gerade zu der kleinen Synagoge in der Johann-Georg-Straße gegangen, um Kultgegenstände zu retten, u. a. die Thora-Rolle. Mein Vater sollte vorläufig in das KZ Oranienburg. Da er nicht anwesend war, gingen die Gestapo-Leute wieder weg. Meine Mutter sah aus dem Fenster, wie mein Vater gerade um die Ecke kam. Er ging an den Gestapo-Typen vorbei, ohne dass man voneinander Notiz nahm. Meine Mutter brachte meinen Vater dann einige Tage beim Großvater unter. Dort blieb er, bis die Gefahr vorbei war.
Im November und Dezember 1938 wurden viele jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Die meisten kamen vier bis sechs Wochen später wieder raus, weil sie versichert hatten, dass sie auswandern wollten. Sie mussten im KZ teilweise Zwangsarbeit leisten. Der Winter 38/39 war extrem kalt. Sie mussten Eisenbahnwaggons schieben, die so kalt waren, dass einigen die Finger abfroren. Man sah damals viele Männer mit abgefrorenen Fingern auf der Straße.
Angesichts dieser Ereignisse war uns alles klar. Meine Mutter förderte daher meine Auswanderung sehr. Sie selber wollte Berlin nicht verlassen, weil sie sich um ihren 85-jährigen Vater kümmerte, der kurz zuvor Witwer geworden war. Sie wollte ihn nicht alleine lassen.
Dass meine Eltern und viele andere nicht auswanderten, hing auch damit zusammen, dass sie nicht mehr über ihre Ersparnisse verfügen konnten. Vor allem mein Vater fühlte sich zu alt, um irgendwo mittellos anzukommen und ganz neu anfangen zu müssen. So blieben meine Eltern, wie viele ältere Familien, in Deutschland.
Als ich in den Zug nach Paris stieg, war mir bewusst, dass das ein Abschied für immer war, auch wenn ich selbstverständlich hoffte, dass ein Wiedersehen möglich wäre.

Wie verliefen dann die Vorbereitungen zu Ihrer Ausreise?

Der Jüdische Bund bereitete nach der Kristallnacht seine Mitglieder auf eine gemeinsame Emigration vor. Ich hatte schon auf der Fürstin-Bismarck-Schule zwei Jahre Spanischunterricht. Ich hatte immer ein großes Interesse an Fremdsprachen und beherrschte Latein, Englisch und Französisch. Ansonsten hatten wir sehr wenig Zeit für die Vorbereitung unserer Emigration. Denn wir durften als Organisation insgesamt nicht mehr zusammentreffen. Sämtliche jüdische Vereinigungen waren geschlossen. Wir gingen immer zu zweit in die Häuser und warteten beim Rausgehen darauf, dass die anderen um die Ecke verschwunden waren, bevor wir selbst die Häuser verließen.

Wie verlief Ihre Emigration im einzelnen?

Drei Gruppen reisten hintereinander aus Berlin ab, ich war bei der dritten Gruppe. Am 13. April 1939 fuhren wir vom Bahnhof Janowitzbrücke ab. Meine Mutter und mein Großvater begleiteten mich bis zur S-Bahnstation Bellevue und verabschiedeten mich auf dem Bahnsteig. Mein Vater konnte den Abschied nicht ertragen und war zu Hause geblieben. Das war das letzte Mal, dass ich meine Familie sah.
Wir fuhren dann bis Aachen. Dort wurden wir ein letztes Mal schikaniert. Es kam zu Durchsuchungen und Leibes­visitationen, ob man mehr als die zugelassenen zehn Mark mitgenommen hatte. Wir verpassten deswegen den Zug und fuhren dann mit unserer Gruppe von 32 oder 33 Personen mit einem lokalen Zug nachts um zwölf Uhr weiter und kamen frühmorgens in Paris an. Dort erhielten wir Visum und Fahrkarten für Argentinien, die Hilfsorganisation HIAS hatte dafür gesorgt. Wir mussten uns ihr gegenüber verpflichten, fleißig zu arbeiten und später der Organisation die Kosten unserer Flucht zu erstatten. Die Jugendlichen waren zwischen 17 und 25 Jahre alt. In Paris hatten wir fünf Tage Aufenthalt. Unser Gruppenleiter sagte uns, wir müssten nun Abschied von der europäischen Kultur nehmen. Wir sind dann nach Versailles gefahren, zum Louvre und zum Rodin-Museum. Da wir ja aus verschiedenen Städten kamen, lernten wir uns nunmehr erst gegenseitig kennen.
Von Le Havre fuhren wir mit einem französischen Frachtdampfer nach Südamerika. Am 25. Mai, dem Nationalfeiertag Argentiniens, erreichten wir Buenos Aires.
Dort mussten wir zunächst auf dem Schiff bleiben, weil wir Visa nur für Bolivien hatten. Wir hatten schon von Schiffen gehört, die zurückgeschickt wurden. Der nächste Zug nach Bolivien sollte erst fünf Tage später gehen. Aber die jüdische Hilfsorganisation besorgte uns dann doch noch Visa für Argentinien, die zunächst nur ein halbes Jahr gültig waren. Aber nach diesen Übergangsvisa wurden wir richtig legalisiert.
Bei unserer Ankunft in Argentinien hatten wir gerade einmal zehn Pesos in der Tasche. Wenn die Hilfsorganisation nicht einige Zimmer in einer Immigrantenpension in Stadtteil Belgrano für uns gemietet hätte, hätten wir nicht gewusst, wo wir schlafen konnten. Wir waren darauf angewiesen, möglichst schnell Arbeit zu finden. Wir Mädchen nahmen sofort jede Stelle als Haushaltshilfe oder Kindermädchen an. Es war uns vollkommen klar, dass wir keine Möglichkeiten hatten zu wählen. Von den Jungens fingen die meisten als Peón an, als ungelernte Arbeiter.
Bei meinen ersten Herrschaften, bei denen ich fünf Monate lang war, sollte ich dem Kind Englisch beibringen. Das Kind war zwei Jahre und einige Monate alt! Die Eltern waren der Meinung, dass das dringendste, was es brauchte, die englische Sprache wäre, obgleich beide Eltern und die Großeltern in Argentinien geboren waren. Aber der Herr hatte die Verwaltung eines englischen Unternehmens und deswegen musste das Kind Englisch lernen.
Was wir verdienten, reichte gerade zum Überleben. Einmal hatte ich einen Knopf verloren von einem Kleid. Weil ich einen identischen Knopf hier nicht bekam, musste ich gleich sechs neue Knöpfe kaufen, das war schon ein finanzielles Problem.
Außerdem waren wir sehr schlecht krankenversichert, was für mich ein Problem wurde, als ich an Kinderlähmung erkrankte. Ich habe inzwischen oft gehört und gelesen, dass Menschen, die in andere Länder kamen, Kinderlähmung bekamen. Das scheint eine Krankheit zu sein, die auch tiefere Wurzeln hat, nicht nur eine Infektion, die man sich zufällig aufschnappt.
Es war für uns oft sehr schwierig, sich in die argentinischen Modalitäten einzudenken. Für mich war es ein großer Schock zu erleben, wie unterwürfig Angestellte, die in meiner Lage waren, ihrer Herrschaft begegneten. Sie wagten gar nicht, eigenständig zu denken. Was mir damals schon zeigte, dass die Kolonisierung im Grunde genommen niemals beendet worden ist und sich viele Leute niemals als freie Menschen gefühlt haben. Auch hatte man in Deutschland nicht die geringste Ahnung, wie groß die Kluft zwischen Arm und Reich hier war.
Im Laufe der Zeit gelang es uns allmählich, aus diesen Anfangsstellungen herauszukommen. Ich hatte das Glück, eine Stelle in einem Kinderhort zu bekommen, der kurz vorher für die Kinder jüdischer EmigrantInnen gegründet worden war. Durch diese Arbeit erfuhr ich sehr viel über die Probleme der Emigration. Wir betreuten die Kinder nicht nur tagsüber, sondern kümmerten uns auch um ihre Gesundheit und ihre eventuellen psychologischen Probleme – aber das kam erst später. Von Psychologie wusste man in Argentinien Anfang der vierziger Jahre noch wenig. Nur einige Einwanderer brachten diese Kenntnisse schon mit. Wir kümmerten uns auch um die Eltern, die mit all ihren Problemen zu uns kamen. Wir bekamen all diese Schicksale mit.

Hatten Sie in den Kriegsjahren Informationen über das Schicksal Ihrer Familie in Europa und wussten Sie und die anderen EmigrantInnen, welche Ausmaße die Judenverfolgung in Europa angenommen hatte?

Ich habe mich mit meinen Eltern geschrieben, erlaubt waren allerdings nach Ausbruch des Krieges nur noch offene Postkarten. Manchmal bekam man Luftpostbriefe auf ganz leichtem Papier. Die Karten trugen Stempel mit Hakenkreuz. Es waren stereotype Karten, in denen man über das Wetter oder den Besuch der Tante berichtete. Eines Tages Ende 1942/Anfang 1943 stand auf einer Karte von den Schwiegereltern: „Frau Pinkus ist jetzt ganz alleine“ als Randbemerkung. Das bedeutete die Todesnachricht meines Vaters. Ich erfuhr erst 1983 das genaue Todesdatum und weiß, dass sein Grab in Ost-Berlin ist.
Durch meinen Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel erfuhr ich, dass mein Großvater in das KZ Theresienstadt gebracht worden war. Mein Vater hatte einen Schulfreund, der nach Schweden gegangen war, und der hatte Daten darüber. In der Gedenkstätte erfuhr ich alles über meine Familie. Es waren insgesamt zehn Personen, die verschleppt worden sind. Die Transporte hatten verschiedene Nummern. Meine Mutter war auf dem 31. Transport nach Auschwitz. Dort musste sie zunächst Zwangsarbeit leisten, zuvor hatte sie auch schon in Berlin Zwangsarbeit leisten müssen. Ein Jahr später wurde sie vergast. Dies hatte ich durch eine Randbemerkung auf einer Karte an mich und durch meine späteren Nachforschungen in Yad Vashem erfahren.
In Argentinien erhielt ich vereinzelt Andeutungen über das, was in Deutschland geschah. Eine Tante konnte nach Brasilien flüchten. Sie hat mir einmal einen Brief geschrieben, indem sie mir einiges erklärte. Während des Krieges haben wir nach und nach realisiert, was da in Deutschland geschah. Es war eine tägliche Angst und Bedrückung.
Das wurde alles wieder lebendig nach dem Verschwinden meiner Tochter, die Gefühle der Verzweiflung, der Ungewissheit, der aufflackernden Hoffnung und der Enttäuschung.
Abends nach der Arbeit des Tages, in dem Moment, wo man sich hinlegte und ausspannen wollte, fiel alles auf einen herab. Ich machte damals keinerlei Politik, aber bei Konzerten trafen sich alle EmigrantInnen. Wir hatten damals einen unglaublich starken Lebensinstinkt. Das ist mir erst nachher klar geworden. Nur wenige von uns wurden depressiv oder melancholisch.
Die meisten aus der Gruppe, die mit mir aus Deutschland gekommen waren, hatten nach zwei Jahren geheiratet und mindestens zwei Kinder in die Welt gesetzt. Ich heiratete 1942 und bekam vier Kinder, das letzte, Rubén, wurde am 18. November 1964 geboren.

Waren Sie nach der Geburt Ihrer Kinder weiterhin berufstätig?

Zwischen den Geburten meiner Kinder habe ich insgesamt 14 Jahre in dem Kinderhort des jüdischen Hilfswerks gearbeitet. Die letzten sieben Jahre leitete ich das Heim. Später unterrichtete ich an der Pestalozzi-Schule (nach der Gleichschaltung der deutschen Schulen in Argentinien 1934 gegründete antifaschistische Schule, die vor allem von den Kindern der aus Deutschland und Österreich geflohenen Juden und Linken besucht wurde – die Red.), als mein Junge zwei Jahre alt war. Ich gab in der ersten Klasse Deutschunterricht für Kinder aus nicht-deutschsprachigen Familien. Von 1970 bis 1990 habe ich in der jüdischen Gemeinde als Sekretärin gearbeitet und bewegte mich viel in deutschen und jüdischen Zusammenhängen.

Als der Krieg zu Ende war, gab es für die EmigrantInnen die Möglichkeit, Argentinien wieder zu verlassen. Nach Deutschland wollte sicher kaum jemand, aber Israel oder auch die USA waren Länder, in die viele jüdische EmigrantInnen, die nach Südamerika geflohen waren, später gingen. Haben Sie eine zweite Emigration in Erwägung gezogen?

Israel ist selbstverständlich immer ein gewisser Anziehungspunkt gewesen. Die große Auswanderungswelle von hier nach Israel fand Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre statt. Das war eine politisch furchtbare Zeit in Argentinien, der Antisemitismus nationalistischer Gruppen war in dieser Zeit enorm. Eine Gruppe hieß Tacuara. Diese Gruppe war sehr aggressiv. Ihr Anführer, Padre Filipo, ein katholischer Priester, wohnte in unserem Stadtviertel. Er eröffnete direkt vor unserer Synagoge ein Lokal. Es gab dann bei uns im Stadtviertel Belgrano, wo viele deutsche und jüdische Einwanderer lebten, Straßenkeilereien, Demonstrationen, antisemitische Schmierereien und eingeschlagene Fensterscheiben, zum Beispiel bei uns im Kinderheim.
Meine Kinder nahmen das damals sehr bewusst war. Diese Bewegung war einer der Gründe dafür, dass sie eingesehen haben, dass man als Jude nirgendwo sicher lebt. Alle unsere Kinder waren daher in jüdischen Gruppen organisiert, die sich als Gegenreaktion gebildet hatten. Sie haben sich dort politisiert und unsere älteste Tochter und der ältester Sohn sind später nach Israel ausgewandert.
Ich selbst habe in dem Moment an Auswanderung gedacht, als meine älteste Tochter Miriam nach Israel ging. Da sagte mein Mann ungefähr dasselbe, was mein Vater Ende 1938 gesagt hat. Er war nicht dafür zu begeistern, dort noch einmal bei Null anzufangen. Wir haben zwar auch in Argentinien eher bescheiden gelebt, aber wir hatten unser Auskommen.
Die Auswanderung meiner Tochter war für mich der letzte Anstoß, zur deutschen Botschaft zu gehen und mir wieder einen deutschen Pass zu holen, mich in die Bundesrepublik einbürgern zu lassen.

Warum?

Als die erste Tochter weg war, wollte ich wieder einen Pass und eine Staatsangehörigkeit. Ich habe übrigens später festgestellt, dass sich viele emigrierte Juden Anfang der sechziger Jahre wieder deutsche Pässe geholt hatten. So lange brauchten wir, bis wir genug Vertrauen in das neue Deutschland hatten. Wir haben natürlich sehr genau beobachtet, wie sich das in der Bundesrepublik entwickelte. Mir, aber auch vielen anderen, hat die Tatsache geholfen, dass die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen. Als David Ben Gurion, der damalige Premierminister, gefragt wurde, warum Israel Beziehungen zu einem deutschen Staat aufnehme, erklärte er, Israel hätte niemals Wiedergutmachungszahlungen akzeptieren können, wenn es nicht vorher „Schalom“ (Frieden) geschlossen hätte. Das erschien mir als ethische Berechtigung, dass auch ich mit diesem deutschen Staat Frieden schloss. Ich nehme an, viele andere haben etwas ganz Ähnliches empfunden.
Mir war außerdem klar, dass die deutsche Kultur etwas war, das ich nicht einfach abstreifen konnte, bei aller Zuneigung zur argentinischen Lebensweise und Kultur. Man wagte sich also wieder einzugestehen, dass man die deutsche Kultur mochte.
Damals ging das mit der deutschen Staatsangehörigkeit verhältnismäßig automatisch. Wenn man den alten deutschen Auswanderungspass mitbringen konnte, setzte sich sofort der ordentliche deutsche Verwaltungsapparat in Bewegung und bald war der bundesdeutsche Pass da.

Galt die Einbürgerung nur für Sie oder auch für Ihre Kinder?

Für meine Kinder wollte ich es nicht machen. Die Älteste war bereits in Israel, unser ältester Sohn bereitete sich darauf vor. Er ist dort 1981 bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der jüngste Sohn hat einen deutschen Pass. Aber als er den beantragte, war das schon etwas komplizierter, die Frist war bereits abgelaufen.
Mein Mann nahm übrigens die deutsche Staatsangehörigkeit nicht wieder an. Wir haben aber beide die Entwicklung in Deutschland intensiv verfolgt, die Frankfurter Schule gelesen und die 68er Bewegung sehr stark wahrgenommen.

Wollte Ihre jüngere Tochter Nora auch nach Israel?

Meine jüngste Tochter wollte auf keinen Fall etwas anderes als Argentinierin sein. Dafür ist sie dann verschwunden unter der Militärdiktatur.
Schon im Kinderhort haben die Kinder ein Gefühl für das Leben und die sozialen Probleme anderer Menschen gelernt. Denn dort waren viele Kinder aus unteren sozialen Schichten. Insbesondere Nora hat dort ein Feingefühl für die sozialen Probleme entwickelt. Sie hat es immer in ironische Wortspiele umgesetzt, was sie dort erlebt hat. Ihr Onkel nannte sie die Wolkenkönigin.
Ihre Neigung waren die Naturwissenschaften. Sie hat sehr gründlich studiert. Während des Studiums zog sie teilweise aus, teilweise kehrte sie wieder nach Hause zurück und wohnte dort eine Zeitlang mit ihrem Freund.

Welche Rolle spielt der jüdische Glauben in Ihrem Leben?

Ich würde zögern, zu behaupten, dass ich gläubig bin. Man versetze sich in die geistige Situation von Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren: Urplötzlich waren wir als Juden von einem grausamen, unverständlichen Schicksal ergriffen worden. Wie sollte man da weiterleben, ohne einen Sinn in dieser Katastrophe zu finden und nicht ohnmächtiges Opfer einer übermächtigen Gewalt zu sein, und wo sollte man diesen Sinn suchen, wenn nicht in der 4000-jährigen jüdischen Geschichte, die so reich an Präzedenzfällen ist und zu der auch die Bibel und der Glaube gehören. Das war das gemeinsame Problem in unserer Jugendgruppe.
Bei diesen Studien unter Anleitung von Studenten musste jeder zu seinen eigenen Schlüssen kommen, die sich natürlich im Laufe der Jahre ändern konnten. Verpflichtend war nur der monotheistische Gottesbegriff des Schöpfers als Inbegriff von Liebe, Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit. Das höchste Gut ist das Leben, das eigene und das des Nächsten. Das Judentum stellt für mich eine ethisch-menschliche Verpflichtung dar, den Glauben an diese absoluten Werte nicht zu verlieren, jeden Menschen und seine Ansichten zu respektieren. Alles andere sind nur alltägliche Lebensregeln, die ein harmonisches Zusammenleben der Menschen ermöglichen sollen. Diese müssen natürlich dem Lauf der Zeiten und den verschiedenen Situationen angeglichen werden. Dabei kann man absolut verschiedene Meinungen äußern, kategorisch ist nur diese ethische Grundlage.

Wie hat die letzte Militärdiktatur in Argentinien Ihr Leben verändert?

Am 21. August 1976 ist Nora verschwunden. Nach allem, was mir in meinem Leben widerfahren ist, war die Militärdiktatur durch das Verschwinden unserer Tochter die Periode, die mein Leben am allermeisten verändert hat. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals einer Zeitung ein Interview geben würde. Oder dass ich vor einem größeren Publikum sprechen würde, außer vor meiner Schulklasse mit 20 oder 30 Kindern. Das hätte ich mir überhaupt nicht träumen lassen.
Ich bin sehr bald nach dem Verschwinden meiner Tochter in die Gruppe der Angehörigen der deutschstämmigen Verschwundenen gegangen, in der ich bis heute tätig bin. Wir halten alle zusammen, besonders wir, die wir vom ersten Moment an dabei gewesen sind. Eine ganze Anzahl lebt nicht mehr, das ist ganz klar. Jetzt ist eine meiner Aufgaben, die ich noch sehe, die zwei jüngeren Generationen zur Arbeit heranzuziehen. Denn von uns sind vielleicht noch fünf oder sechs übrig. Jetzt müssen die Geschwister und die Kinder von Verschwundenen die Arbeit weiterführen. Es sind schon einige dabei, auch zwei Überlebende, die entführt wurden, in den geheimen Lagern waren, aber nicht ermordet wurden.

Hat Ihnen das Engagement in der Menschenrechtsbewegung geholfen, mit dem Schmerz über das Verschwinden Ihrer Tochter fertig zu werden?

Helfen ist – glaube ich – nicht der richtige Ausdruck. Aber in jeder Etappe des Lebens sollte man sich die Frage stellen, was kann, darf oder muss ich tun? Welches sind meine Aufgaben jetzt? Seit dem Verschwinden meiner Tochter ist das für mich die Arbeit in unserer Gruppe. Und wenn nach all den Jahren und all den Erlebnisssen, schmerzlichen Erlebnissen, irgend etwas übrig bleibt, was noch einen Sinn hat, ist es für mich die Verpflichtung, nicht zu schweigen und auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu bestehen. Ich weiß, dass ich sie damit nicht wieder zum Leben zurückbringen kann. Aber dann sage ich mir, ich kann und ich muss das Leben als solches aufrecht erhalten. Den Begriff des Lebens und der Hilfe für andere, um zu leben und das kann man nur, indem man die Erinnerung an diejenigen, die nicht mehr leben, und die Erlebnisse, die sie hatten, aufrecht erhält.

Das hier veröffentlichte Interview ist eine Montage aus zwei Gesprächen, die Wolfgang Kaleck bzw. Gert Eisenbürger mit Ellen Marx führten.

Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR). Als Anwalt hat er den Fall der Verschwundenen Nora Marx gegenüber der deutschen Justiz vertreten. Gert Eisenbürger ist verantwortlicher Redakteur der ila.

Kasten:

Ellen Marx kam 1939 mit einer Gruppe jüdischer Jugendlicher nach Argentinien. Ihre Mutter und neun weitere Familienmitglieder wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Unter der letzten Militärdiktatur in Argentinien wurde im August 1976 ihre jüngste Tochter Nora in Buenos Aires entführt und ist bis heute „verschwunden“. Zeugenaussagen sprechen dafür, dass sie die ersten Tage schwerster Folterhaft nicht überlebte. Seitdem kämpfte Ellen Marx für die Aufklärung und Ahndung der Diktaturverbrechen in Argentinien und in Deutschland. Sie leitete bis kurz vor ihrem Tod die Gruppe der deutschen oder deutschstämmigen Mütter von Verschwundenen und Diktaturopfern. Diese Gruppe gab 1998 gemeinsam mit dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel den Impuls zur Gründung des deutschen Menschenrechtsnetzwerks „Koalition gegen die Straflosigkeit“. Die Koalition und ihre AnwältInnen betrieben seitdem bei deutschen Strafverfolgungsbehörden Strafverfahren im Namen von Diktaturopfern, u.a. Nora Marx, gegen insgesamt 90 argentinische Militärs und Leitungspersonal der Firma Mercedes Benz, in deren argentinischem Werk mindestens 14 unabhängige Gewerkschafter „verschwanden“.

miércoles, 24 de septiembre de 2008

El interés de juzgar a los represores en el exterior.

Por Rodolfo Yanzón

El juez federal Daniel Rafecas dictó procesamiento contra Jorge Rafael Videla por centenares víctimas. Los delitos que se le imputan son treinta homicidios; más de quinientas privaciones ilegales de la libertad, agravadas por mediar violencias o amenazas, muchas de ellas en la modalidad de desaparición forzada de personas; y casi trescientas imposiciones de tormentos. Videla había sido condenado a reclusión perpetua en 1985 en la causa contra los miembros de las juntas militares. En esa causa la fiscalía había escogido para su acusación más de setecientos casos entre las miles de víctimas. Videla fue indultado por el entonces presidente Carlos Menem en 1990. Como consecuencia de la impunidad existente en nuestro país, fue denunciado ante tribunales del exterior como uno de los jerarcas que había llevado a cabo el plan de exterminio. Luego de años de trabajo, en 2004 el Juzgado de Primera Instancia de Nurenberg de la República de Alemania solicitó la extradición de Videla, Emilio Eduardo Massera y Carlos Guillermo Suárez Mason por los crímenes cometidos contra los ciudadanos alemanes Elizabeth Käsemann y Claudio Manfredo Zieschank. Participaron de la investigación la comisión de familiares de origen alemán y la Coalición contra la Impunidad en la Argentina –integrada por organizaciones sociales, de derechos humanos y religiosas de Alemania-. El Gobierno alemán decidió ser parte activa en el proceso de extradición. Se presentó ante el juez Sergio Torres, ante quien había quedado radicado, para sostener el pedido formulado por la justicia alemana. La defensa de Videla se basó fundamentalmente en que había sido juzgado en 1985. En agosto de 2005 el juez Sergio Torres rechazó el pedido de extradición fundándolo en que Videla había sido condenado por el caso Zieschank y, respecto del caso Käsemann, que no existían obstáculos para que fuera juzgado en la Argentina, luego de la nulidad de las leyes de obediencia debida y de punto final y la reapertura de las causas en 2003. La sentencia fue confirmada por la Corte Suprema de Justicia de la Nación. En ese contexto, el Gobierno de la República de Alemania decidió presentarse como querellante en la causa por los crímenes de lesa humanidad cometidos en la órbita del I Cuerpo de Ejército, que lleva adelante el juez federal Daniel Rafecas. El magistrado tuvo como querellante a la Embajada de Alemania, en relación al caso de Elizabeth Käsemann, asesinada por miembros del Ejército en el centro de exterminio denominado el Vesubio. En 2007 el juez Rafecas tomó la importante decisión de someter a juicio a Videla por todos aquellos crímenes por los que no había sido juzgado y que se habían cometido bajo la órbita del I Cuerpo de Ejército.
Tres reflexiones se pueden extraer de esta decisión. En primer lugar, el reconocimiento del trabajo realizado en el exterior reclamando que se juzgase a los responsables de los crímenes de lesa humanidad. A los resultados obtenidos en cada uno de los países, debe agregarse que, como consecuencia de ello, hemos podido avanzar en el juzgamiento aquí en la Argentina. No sólo los juicios en el exterior ejercieron una fuerte presión en nuestro país, sino que ayudaron al progreso en la interpretación y aplicación del Derecho Internacional por parte de los tribunales argentinos. Cuando se sancionó la ley que declaró la nulidad de las leyes de obediencia debida y de punto final, estaba tramitando un pedido de extradición que había enviado el juez español Baltasar Garzón y por el cual habían sido detenidos decenas de represores. En segundo término, el caso Käsemann y la activa intervención del gobierno alemán generó el debate acerca de la necesidad de juzgar a los jerarcas por aquellos crímenes por los que jamás habían sido juzgados. En tercer lugar, otros jueces deberán imputar a Videla y al resto de los juzgados en 1985 por aquellas víctimas cuya investigación les corresponde. Los crímenes de lesa humanidad deben ser perseguidos en forma universal y es la comunidad internacional la interesada en el juzgamiento de los responsables.

lunes, 22 de septiembre de 2008

Buch: De Golpes y Suenios. Ein Kommentar

Das zweisprachige Buch „De Golpes y Sueños“ bietet einen vielschichtigen Einblick in die
Geschichte des Antisemitismus in Argentinien.
Buenos Aires am 18. Juli 1994. Es ist Montagmorgen um 9 Uhr 53. In der Einfahrt des jüdischen Gemeindezentrums „Asociación Mutual Israelita Argentina“ (AMIA) explodiert eine 300 Kilogramm schwere Autobombe. Innerhalb von wenigen Sekunden stürzt das siebenstöckige Gebäude ein. 85 Menschen sterben, mehrere hundert werden verletzt. Nachdem bereits zwei Jahre zuvor eine Bombe die israelische Botschaft in Buenos Aires zerstört und 29 Menschen getötet hatte, ist der Anschlag auf die AMIA das größte Attentat in der argentinischen Geschichte. Bis heute ist es nicht völlig aufgeklärt.
„Das Wort AMIA wurde zu einem Synonym für Vertuschung“, schreibt Sylvia Degen, Mitherausgeberin des
kürzlich erschienenen Buches „De Golpes y Sueños. Antisemitismus und jüdische Überlebende in Argentinien“.
Nach den Worten des in Deutschland lebenden argentinischen Journalisten Roberto Frankenthal eröffneten die
beiden Attentate ein neues Kapitel des Antisemitismus in Argentinien. Dessen Geschichte beschreiben die
in „De Golpes y Sueños“ gesammelten Texte. Das in Kooperation mit dem Anti-Defamation-Forum Berlin veröffentlichte Buch liefert dabei viele neue Erkenntnisse im Bereich der Antisemitismus- Forschung. Denn gerade der lateinamerikanische Aspekt wurde in Europa bisher wenig beleuchtet. So ist das Buch zum einen eine geeignete Einführung, zum anderen liefert es stellenweise auch den nötigen Tiefgang. Allerdings variieren die Texte relativ stark in ihrer Qualität. Zudem ist der Band nicht nur zweisprachig, sondern auch vom Aufbau her zweigeteilt - was sich als Vor- und auch als Nachteil erweist.
In Argentinien befindet sich die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas. Etwa 300.000 Argentinier sind
jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft. Dazu gehört nach wie vor eine große Zahl von Überlebenden
des Holocaust. Einige von ihnen gründeten die Gruppe „Generaciones de la Shoah en Argentina“. Ihren Erzählungen ist der zweite Teil des deutschspanisch erschienenen Buches gewidmet. In Interviews berichten sie, wie sie die Shoah erlebt haben und wie sie nach Argentinien entkamen. Ihre Erlebnisse sind persönlich und spannend zu lesen. Einen analytischen Blick bieten sie jedoch nicht. Dies leistet hingegen der erste Teil des Buches, der die verschiedenen Aspekte des argentinischen Antisemitismus ins Zentrum rückt.
Der Judenhass nahm in Argentinien bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Laufe der ersten großen Einwanderungswellen nach Argentinien zu. Jüdische Immigranten sahen sich häufig Anfeindungen ausgesetzt, die in der „Semana Trágica“ gipfelten, der tragischen Woche von 1919: Als die Verantwortung für einen Streik in einer Stahlhütte auf die Agitation von Linken und Juden zurückgeführt wurde, kam es zu einem Pogrom in den jüdischen Vierteln von Buenos Aires. Schätzungen gehen von bis zu 1.000 Toten und 5.000 Verletzten aus. Die Polizei sah tatenlos zu.
Nach 1930 entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen Argentinien und Nazi-Deutschland.
Nach 1930 entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen Argentinien und Nazi-Deutschland. Diese Dekade
wird in der argentinischen Geschichtsschreibung als das „schändliche Jahrzehnt“ bezeichnet. Es war nicht zuletzt
von Korruption, Misswirtschaft und häufigen Regierungswechseln geprägt. Mit „Odessa - Die wahre Geschichte“ hat Uki Goñi ein Standardwerk über die Flucht der NS-Kriegsverbrecher in das südamerikanische Land verfasst. In seinem Beitrag für „De Golpes y Sueños“, einem Auszug aus seinem eignen Buch, untersucht der Historiker die restriktive Einwanderungspolitik gegenüber jüdischen Flüchtlingen, die oft nur mit
gefälschten Papieren einreisen konnten. Eine geheime Verordnung aus dem Jahr 1938 an die argentinischen
Konsulate erklärte sie zu unerwünschten Personen. Erst 2005 wurde der „Circular 11“ aufgehoben. Uki Goñis Beitrag ist sicher eines der stärksten Kapitel des Buches. In einem anderen verfolgt Kathrin Herold
die Fluchtrouten, auf denen NSKriegsverbrecher und Nazikollaborateure nach Argentinien entkamen.
General Juan Domingo Perón began 1946 nach seiner Wahl zum Staatsoberhaupt, einen Staat nach faschistischem Muster zu errichten. Doch auch nach der ersten peronistischen Ära, die 1955 mit einem weiteren Putsch zu Ende ging, konnten sich Juden in Argentinien nicht sicher fühlen – vor allem nicht während der Militärdiktatur 1976 bis 1983. In seinem Beitrag liefert Roberto Frankenthal Beispiele über den Antisemitismus von damals bis heute. Während die argentinischen Juden nur etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, waren mit 1.500 der etwa 30.000 Ermordeten des Regimes überdurchschnittlich viele vom Terror der Diktatur betroffen. Die „desaparecidos“ (Verschwundenen) jüdischer Herkunft wurden in den Folterzentren besonders brutal misshandelt. Überlebende erinnern sich daran, wie sie Hitler-Reden in voller Lautstärke anhören mussten.
Auch nach der Rückkehr zur Demokratie 1983 gab es antisemitische Vorfälle: 1984 wurden Brandbomben
gegen die Synagoge von Rosario und gegen die Hauptsynagoge von Buenos Aires geschleudert, 1987 wurde die
jüdische Gemeinde in Bahia Blance und eine Synagoge in der Hauptstadt attackiert, mehrere Male kam es zu
Friedhofsschändungen. Als der aus Syrien stammende Carlos Menem 1989 die Präsidentschaftswahl gewann,
dachten viele jüdische Bürger in Argentinien ans Auswandern. Seine Sympathie für einige rechtsextreme
Gruppen und die Wahlhilfe durch Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi schürten das Misstrauen.
Doch auch unter einigen argentinischenLinken und an den Hochschulen war der Antisemitismus verbreitet.
Diesem Aspekt widmen sich die Autoren in mehreren interessanten Artikeln, die vielleicht jedoch erst bei
intensiverer Beschäftigung mit der Geschichte der Linken in dem südamerikanischen Land zu verstehen sind.
Zur Relevanz mancher Gruppe hätte es einer weiter reichenden Erklärung bedurft. Vor allem aber hat der Anschlag auf die AMIA die jüdische Bevölkerung in ihrem Selbstverständnis als Argentinier getroffen. Die zahlreichen „golpes“ (Schläge) hatten ihre „sueños“ (Träume) zerstört. Zwar wurden gegen den iranischen Ex-Präsidenten Ali Rafsandschani und sieben weitere Iraner Haftbefehle als Drahtzieher erstellt. Wirklich neu ist die
Erkenntnis nicht, dass der Iran und die Hisbollah hinter den Anschlägen steckte. Dennoch wäre es interessant
gewesen, mehr über deren Rückzugsgebiete in Südamerika zu erfahren.

Sylvia Degen, Sergio Esquivel und Anti- Defamation Forum (Hrsg.): „De Golpes y Sueños. Antisemitismus und jüdische Überlebende der Shoah in Argentinien“, Berlin 2007. Zu beziehen für 8 € per Email an: sylvia.degen@transmute-network.com

Aus:woxx 04 07 2008 Nr 961 REGARDS 13

jueves, 24 de enero de 2008

WORAUF WIRD GEWARTET

Seitdem 09.10.07 sind mehr als drei Monate vergangen. An diesem Tag wurde der Pfarrer Christian von Wernich von einem Gericht in La Plata, Argentinien, wegen seiner Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Damals hat die argentinische Bischofskonferenz in einer Pressemitteilung jegliche "institutionelle Verantwortung" für die Taten des verurteilten Pfarrers abgelehnt und darauf hingewiesen, daß die Verbrechen in der "persönlichen Verantwortung" des Verurteilten liegen würden. Der Bischof von 9 de Julio (das Bistum in dem von Wernich tätig war), Martin de Elizalde, bat um "Vergebung" im Namen der Kirche für die Verbrechen des Pfarrers. "Zu gegebener Zeit wird die Kirche, nach den Bestimmungen des Kirchenrechtes, über die Situation von Christian von Wernich entscheiden", versicherte der Bischof.
Heute sitzt zwar der Folterpfarrer zwar in Haft seine Strafe ab, aber er genießt immer noch alle Privilegien und Rechte eine katholischen Pfarrers. Anscheinend ist weder für den Bischof von 9 de Julio noch für die Leitung der katholischen Kirche Argentiniens der Zeitpunkt gekommen, um die Entscheidungen der ordentlichen Justiz über die begangenen Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Kirche umzusetzen.
Entweder glaubt die Kirchenleitung, daß während des Prozesses nicht die Wahrheit ans Tageslicht kam und das Gericht ein politisches Urteil gefällt hat oder sie denkt, und das wäre noch schlimmer, daß die Taten des ehemaligen Kaplans und Berater des "Schlächters von La Plata" Ramon Camps, stehen in keinen Widerspruch zur Kirchendoktrin.
Beide Argumente entbehren jeder Grundlage. Von Wernich hatte einen fairen Prozeß nach den Regeln des Rechtsstaates, etwas was seinen Opfern nicht gegönnt wurde. Die Anzahl der Fälle in denen der Pfarrer wegen seiner Beteiligung an Menschenrechtsverbrechen verurteilt wurde, entnimmt der zweiten Behauptung auch jeder Glaubwürdigkeit.
Die argentinische Kirchenleitung wird nicht müde das "Recht auf Leben" jederzeit und überall zu verteidigen. Deshalb muß man sich fragen: Worauf wartet sie noch, um von Wernich auch innerhalb der Kirche zu verurteilen? Und falls es schon geschehen ist, warum wird diese Tatsache nicht der Allgemeinheit bekannt gegeben? So schlimm wie seine "Straflosigkeit" innerhalb der Kirche wäre die Zurückhaltung bei der Veröffentlichung eventueller Maßnahmen gegen den verurteilten Pfarrer innerhalb der Institution.
Die Zeit vergeht und der Skandal, der durch die Taten des Pfarrers von Wernich verursacht wurde, breitet sich immer mehr aus. Auch wenn die Bischöfe die "persönliche Verantwortung" des Verurteilten hervor heben, wirkt sich ihre Passivität als ein Schatten auf die gesamte katholische Kirche des Landes.
Wann wird die "gegebene Zeit" kommen von der Martin de Elizalde sprach? Wird das Kirchenrecht die Entscheidungen der weltlichen Justiz in Frage stellen? Eine Antwort auf diese Fragen wäre sowohl für die Katholiken wie für die allgemeine Öffentlichkeit Argentiniens hilfreich.
Weil sich sonst, zur Scham jedes christlich denkenden Menschen für die Taten von Christian von Wernich, die Empörung über das Schweigen der Kirchenleitung gesellen würden. Ein Schweigen der mühelos als Komplizenschaft mißverstanden werden kann, von einer Kirchenleitung die weder zum Zeitpunkt der Taten noch danach, ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft anscheinend gerecht werden will oder gerecht werden kann.

Quelle: Pagina 12, 21.01.08
Übersetzung und Zusammenfassung: R.Frankenthal

sábado, 19 de enero de 2008

Chaco pidió perdón por una masacre de aborígenes

Se realizó un homenaje a la única sobreviviente del exterminio, una mujer de 107 años
EL GOBIERNO DE ESA PROVINCIA SE DISCULPO POR LA MATANZA DE 400 INDIGENAS EN 1924
Por: Sergio Schneider
Melitona Enrique, en el día de su cumpleaños número 107, no debe haber entendido mucho. El mismo Estado al que en su juventud vio asesinar, empalar y mutilar a su familia y a cientos de indígenas más, le pedía perdón y le rendía un homenaje. Fue el miércoles, con un acto en el que el Gobierno chaqueño pidió disculpas públicas y oficiales por la masacre de Napalpí, una brutal matanza de unos 400 aborígenes ejecutada en 1924.Melitona, que entonces tenía 23 años, se salvó escondiéndose en el monte durante varios días, sin comida ni agua. Hoy es la única sobreviviente que continúa viva. En dialecto qom, aún recuerda aquello. "Los cuervos estuvieron una semana sin volar, porque seguían comiendo los cadáveres", relata. Ella y otros miraban, escondidos entre los árboles de un monte próximo, porque los policías seguían rondando.El acto de reconocimiento a Melitona se hizo en Machagai, su ciudad. A quince kilómetros de allí fue la masacre. "Todavía se le caen lágrimas; ahí vio morir a los abuelos, los tíos, mucha gente", dice Sabino Yrigoyen, hijo suyo. La anciana recibió también una casa nueva, y todo el pueblo le cantó una canción en la plaza por su cumpleaños. Luego siguió un festival.La masacre se organizó para reprimir una huelga aborigen que reclamaba que el trabajo en las cosechas se pagara con dinero y no con vales de comida sobrevaluados. Los indígenas, concentrados en un campo a la espera de una respuesta, fueron ametralla dos sin aviso previo por aire y tierra. No se distinguió entre niños, mujeres, adultos o ancianos.La orden fue dada por el gobernador Fernando Centeno, cuyo cuadro fue retirado el mes pasado del salón de mandatarios de la Casa de Gobierno del Chaco. Los caciques fueron castrados y empalados junto a sus hijos; las mujeres, violadas y mutiladas a machetazos, y el resto fusilado a mansalva. Algunos jerarcas policiales conservaron testículos y orejas a modo de trofeos.Melitona ya casi no camina, pero conserva una lucidez y un humor asombrosos. Luego del pomposo acto oficial para entregarle su nueva casa y ya liberada de la lluvia de fotos, le dijo a Clarín, traducción mediante: "No sé si me va a gustar. Voy a probar dos semanas. Si no me gusta, voy a volver con mi hija". Las comunidades indígenas, en realidad, esperan algo más que ceremonias. La Corte Suprema ordenó el año pasado a la provincia y al Estado nacional que detengan el "silencioso exterminio" que imponen el hambre y la marginación de tobas, wichís y mocovíes. "Esto es un gesto voluntarioso, pero hay que resolver también el Napalpí que vino después", dijo el periodista y escritor Pedro Solans, autor de un libro sobre la masacre. "Todavía no hay un programa claro de salvataje de las comunidades", dijo Rolando Núñez, del Centro de Estudios Nelson Mandela.En la plaza del pueblo, el wichí Leco Zamora leyó una poesía en honor de Melitona. Decía: "Tus lágrimas regaron nuestras vidas/derribaste los muros que nos separaban de los otros/Enséñanos a mostrar nuestro mundo ignorado/Es tiempo de maduración de la algarroba, el mistol y el cielo/enséñanos a andar abrazados, enséñanos a encender el gran fuego/Cuando emprendas tu vuelo, no nos olvides".
http://www.clarin.com/diario/2008/01/18/sociedad/s-03305.htm